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Nov 2024 – Eine Kletterreise nach Sizilien – und wie kann das Klettern zum Frieden in der Welt beitragen?

Die Kletterreise nach Sizilien, Palermo zum Kletterparadies bei Sferracavallo am Monte Gallo mit Heinz Grill, dem Initiator und Erstbegeher vieler Mehrseillängentouren in diesem Gebiet, und weiteren Kletterern und Kletterrinnen sowie Mitreisenden hatte das außergewöhnlich klingende Ziel Friedenskräfte für die Welt zu schaffen.

Frieden und Klettern – was haben diese beiden Themen gemeinsam? Zunächst denken wir eher an Vergnügen und Spaß beim Klettern, an ein geselliges Miteinander und das Genießen von schönen Routen bei bestem Wetter, Fels und Linienführung. Bei Frieden wird es meist schon etwas unkonkreter, aber nach einem Zustand von Frieden auf der Welt sehnen sich wohl im tieferen Sinne alle Menschen. Hier stellt sich dann die Frage, was Voraussetzungen für eine friedvolle Atmosphäre sind? Wie kann der einzelne Mensch etwas beitragen? Welche Leistung und Arbeit ist für Frieden nötig?

Einen höchst interessanten Zusammenhang zwischen den Motiven des Menschen und dem Entstehen von friedensfördernden Kräften beschreibt Heinz Grill folgendermaßen:

Die Auseinandersetzung mit Spiritualität, die Bildung von weisheitsvollen Gedanken und die Überschreitung der gewohnheitsmäßigen Nützlichkeitsprinzipien, erscheint zunächst unangenehm und doch fördert es die Reife wie auch die Freiheit des Individuums und schließlich erstrahlen in die geistige Welt genau jene Kräfte, die rückwirkend im irdischen Dasein schließlich einen Weltfrieden fördern.“

Artikel aus 2017 von Heinz Grill

Wie in diesem Sinne die Motivlage des Menschen eine unmittelbare förderliche Auswirkung hat, möchte ich mit den Erlebnissen der Kletterreise aufzeigen.

An einem Tag starteten drei Seilschaften am gleichen Berg – dem Monte Santa Margherita in drei verschiedenen Routen. Das äußerliche Ziel war die drei langen anspruchsvollen Touren zu reinigen, die Formen und Bedingungen wahrzunehmen und gleichzeitig am Gipfel anzukommen. Die einzelnen Seilschaften stimmten ihre Aktivität auch auf die anderen ab, dachten daran, wie das Vorankommen zufriedenstellend gelingt und auch wie die Bewegungen vom Tal aus wahrzunehmen sind. Die Wahrnehmung ging so weit, dass sich gegenseitig mit Material aus der Nachbartour ausgeholfen wurde, als das entsprechende Sicherungsmittel abging. Lockere Steine wurden nicht einfach hinuntergeworfen, damit sich die Anwohner nicht bedroht fühlen. Die Freunde vom Tal unterstützten mit ihrer Beobachtung und begleiteten gedanklich die Kletterei. Es war erlebbar, wie eine reale Kraft freigesetzt wurde, die sich als eine ausgleichende und stärkende Atmosphäre für alle Mitwirkenden zeigte.

Für diesen Zusammenhang ist aber sicherlich eine grundsätzliche Voraussetzung, dass sich der Mensch in die Welt eingebunden versteht, Verantwortung trägt und sich die Mitgestaltung der Weltenlage zutraut.

Doch was geht da genauer vor sich? Und wie kann der eigene Einsatz in diesem Kontext mit Frieden verstanden werden?

Die Art und Weise, die Motivation – sprich wie geklettert wird, mit welchem Gedanken man an den Berg, den Seilpartner und die Umgebung herantritt – wird maßgeblich für die Wahrnehmung und das daraus resultierende Ergebnis sein. Diese Wirkungen sind auf unterschiedlichen Ebenen zu suchen. So gibt es Wirkungen auf der äusseren körperlichen Ebene und ebenso in der seelischen und geistigen Dimension.

Zwei Seilschaften in gemeinsamer Abstimmung – Hier in einer schönen Risskletterei am Monte Gallo bei einer Erstbegehung

Klettern nun also diese drei Seilschaften zu ähnlicher Zeit drei verschiedene Routen, mit dem Ziel sich gemeinsam am Gipfel zu treffen, die Routen komplett von Dornen, Gras, lockereren Steinen und ähnlich störenden Hindernissen zu befreien und widmen sich damit dem gemeinsamen Ziel, so ist ein erster Schritt heraus aus der eigenen Gewohnheit gegeben. Der Mensch kann sich zu jedem Zeitpunkt entscheiden wonach er sich ausrichtet. Sobald eine sinnvolle tragbare und nützliche Idee im Mittelpunkt steht, verlässt man die eigene Gewohnheit. Da sich damit der Mensch auf ein neues Ziel ausrichtet und eine sinnvolle, produktive Tätigkeit ausübt, macht er schon mal nichts Unnützes und wendet somit Unheil oder Schaden ab. Dies lässt sich als eine erste friedensstiftende Wirkung verstehen.

Es ist jedoch nicht die Selbstaufgabe durch passives Gruppenverhalten gemeint, sondern ein eigener Standpunkt. Diese individuelle Postion steht immer in Beziehung zu anderen Menschen, dem Ziel und der Umgebung – oder kurz gesagt zur Realität und kann ganz besonders zu dieser friedensstiftenden Wirkung führen.

Mit einer lebendigen Aktivität in der Beziehung und der Wahrnehmung zu dem Ziel ist immer wieder eine Neuausrichtung möglich.

Es lässt sich zusammenfassend auf philosophische Art gesprochen davon ausgehen, dass Frieden durch eine gewisse Opferleistung und das eigene Einsetzen für ein Ziel oder Ideal entsteht, dabei etwas an eigener Bequemlichkeit zurückgelassen wird. In unserer Zeit, in der massivste Konflikte in der Welt vorherrschen, erscheint mir diese Perspektive als sehr hoffnungsvoll und förderlich für die Zukunft.

Somit freue ich mich auf weitere Kletterreisen um an dieser Herangehensweise weiter zu forschen, die eigene Motivlage konkreter auszuprägen und freue mich über weitere Dialoge oder Rückmeldungen von anderen Kletterern und Kletterinnen!